Erste Schritte aus der Essstörung

Die ersten Schritte aus der Essstörung sind meiner Erfahrung nach die schwierigsten. Vielleicht ist man zu der Erkenntnis erlangt, dass man wieder gesund werden muss, aber weiß gar nicht, wie und wo man anfangen sollte. Oder man fühlt sich nach wie vor nicht zu hundert Prozent bereit für Veränderung, weiß aber, dass sich etwas ändern muss.

Ein Geheimrezept dafür, wie man es erfolgreich aus der Essstörung schafft, gibt es natürlich nicht. Und es gibt auch nicht "den einen und einzigen Plan", mit den man es ganz sicher schafft. Am Ende muss jeder seinen eigenen Weg gehen. Aber ich kann euch mit meinen Ratschlägen hoffentlich etwas Angst nehmen und dafür mehr Mut geben.
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  1. Bitte um Hilfe. Essstörungen sind ernst zu nehmende Krankheiten, für die man sich professionelle Hilfe zulegen sollte, z.B. in Form eines Arztes, eines Psychotherapeuten und Ernährungsberaters. Sie begleiten euch auf eurem Heilungsweg, stellen sicher, dass euer Körper wieder zu Kräften kommt, dass ihr wieder zu einem normalen Essverhalten zurückkehrt und helfen euch dabei, gegen die negativen Gedanken und Verhaltensweisen vorzugehen. Genauso wichtig ist aber auch Unterstützung seitens der Familie oder von Freunden. Nicht nur tut es gut, sich ihnen gegenüber anzuvertrauen und zu öffnen; sie sind auch eine tolle Unterstützung während der Mahlzeiten, lenken euch ab und helfen euch nach kleinen Zusammenbrüchen wieder aufzustehen und weiter zu machen. Ganz ohne Hilfe kann man es natürlich auch aus der Krankheit schaffen, aber mit Hilfe gestaltet sich der Heilungsprozess etwas reibungsloser und weniger problematisch. Man hat jemanden, der ein genaues Auge darauf wirft, falls man langsam zurückfällt; man kann über die Probleme und schlechten Gedanken sprechen und anschließend Lösungen dafür suchen; man weiß besser darüber Beschied, ob der eigene Körper erhebliche, aber unbemerkte Schäden durch die Krankheit genommen hat und kann besser gegen diese vorgehen, falls vorhanden. Es ist, einfach gesagt, eine zusätzliche Absicherung auf dem Heilungsweg.
  2. Lass los von allem, was dich an der Krankheit festhalten lässt. Folgst du Leuten auf Social Media, die dich triggern? Entflogen ihnen. Hast du ein Tagebuch, dass dich an schlechte, alte Zeiten erinnert? Verstecke es in der hintersten Ecke deines Zimmers oder verbrenne es. Hast du Fotos von dir, auf denen du besonders krank aussiehst? Lösche oder schmeiße sie weg. Du brauchst das alles nicht mehr. Dein Fokus sollte nun auf Gesundheit liegen, nicht auf Krankheit. Solche Erinnerungen werden dir den Heilungsprozess nur schwer machen und dich in schweren Zeiten runterziehen. Umgebe dich stattdessen mit positiven, aufbauenden Dingen: folge z.B. Body Positivity Accounts auf Social Media, höre Musik, die dich zum lachen bringt, schaue Filme, die du schon während deiner Kindheit geliebt hast. Du bist nicht diese kranke Person; in dir steckt so viel mehr Leben, Freude und Liebe, als du denkst. Begib dich auf die Suche danach, was und wer du bist.
  3. Fange an, wieder mehr zu essen. Auch wenn man es am besten so schnell wie möglich schaffen sollte, kann es sehr gefährlich sein, von jetzt auf einmal sehr sehr viel zu essen - Stichwort: Refeeding Syndrom. Beim Thema Essen rate ich auf jeden Fall dazu, es langsam (aber natürlich nicht zu langsam) anzugehen, von Tag zu Tag ein bisschen mehr seine Essensmenge zu steigern und am allerbesten wäre es, einen Ernährungsberaters zu Rate zu ziehen, der dann mit einem einen Plan aufstellt, wie man wieder zu einem normalen Essverhalten gelangt. Verlasse dich nicht nur auf Quellen aus dem Internet, wenn es darum geht, was und wieviel man in Recovery an Essen braucht. Das Internet hat durchaus gute Informationen zu bieten, aber leider auch sehr viele schlechte. Dazu kommt, dass man im Netz keine individuelle Beratung bekommt, wie das bei einem Ernährungsberater oder Arzt der Fall wäre. Ganz so einfach wie "einfach wieder mehr essen" gestaltet sich die Sache natürlich nicht. Der Kopf wird sich wahrscheinlich gegen jeden Bissen wehren, aber man muss im Kopf behalten, wofür man das alles macht. Jede Mahlzeit ist eine Entscheidung: möchte ich leben oder krank sein? Essen - Leben und Gesundheit. Nicht essen - krank sein und schließlich sterben. Zu essen heißt nicht, schwach zu sein. Im Gegenteil: es heißt, dass man stark ist, dass man ein Kämpfer ist und dass man sein Leben wieder zurückgewinnt. Mir hat es auch geholfen, dass bei jeder Mahlzeit ein Familienmitglied dabei war, das darauf aufgepasst hat, dass ich auch wirklich esse und nichts von meinem Essen verstecke oder ähnliches.
  4. Verabschiede dich von der Waage. Klar ist es wichtig, dass das Gewicht weiterhin unter Beobachtung steht, damit man sicher gehen kann, dass man auch wirklich zunimmt. Aber gerade am Anfang des Heilungsprozesses nimmt man meist sehr sprunghaft und auch viel zu - das ist in den allermeisten Fällen nur Wasser, das sich im Körper ansammelt. Und das zu sehen kann einen ziemlich runterreißen und triggern. Deswegen: die Waage vorerst verbannen. Es nützt nichts, sein Gewicht ständig zu kontrollieren. Es wird einen nur vom weiterkämpfen abhalten... Am besten lässt man das Gewicht von jemand anderem kontrollieren, z.B. von den Eltern oder vom Arzt, indem man sich einfach blind auf die Waage stellt. Glaub mir, es ist um einiges entspannender, sein Gewicht vorerst nicht zu wissen. Das hat mir zumindest erleichtert, wieder mehr zu essen und mir die Laune nicht von einer unbedeutenden Zahl vermiesen zu lassen.
  5. Motiviere dich. Jeden Tag. Und denke positiv. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Sache, die mir auf meinem Weg aus der Essstörung geholfen hat bzw. immer noch hilft. Hätte ich mir nicht jeden Tag vor Augen gehalten, wofür ich kämpfe, was ich durch Recovery gewinnen werde und an mich selbst geglaubt, wäre ich jetzt wahrscheinlich immer noch tief in der Krankheit gefangen. Ich habe mir eine Liste mit Gründen aufgeschrieben, warum ich gesund werden will; habe mir meine Lebensziele vor Augen gehalten und versucht, so positiv wie nur möglich zu denken. Vor allem letzteres ist nicht einfach - am Anfang fühlt es sich vielleicht so an, als würde man sich selbst nur belügen, indem man positiv denkt, aber je öfter man es macht, desto besser und natürlicher wird es einem vorkommen. Ganz nach dem Motto "Fake it till you make it". Positive Gedanken rufen positive Energie hervor. Punkt. Und positiver zu denken sollte doch auch das Ziel der Recovery sein, oder etwa nicht? Sich von depressiven, selbstzerstörerischen Gedanken zu lösen? Dann am besten gleich damit anfangen. Es wird nicht von alleine besser; man muss etwas dafür tun. Deswegen wird auch immer wieder gesagt, wie schwer es ist, sich von der Krankheit zu lösen. Es ist extrem harte Arbeit, die auf so vielen verschiedenen Ebenen stattfindet. Wer nicht weiß, wie man sich motivieren kann, kann inspirierende Bücher lesen, Podcasts hören, motivierende Videos auf YouTube schauen oder auf Pinterest nach Zitaten Ausschau halten.
  6. Schau nicht darauf, was andere machen. DU gehst deinen eigenen Weg! Kopiere nicht andere, suche nicht obsessiv nach "DEM" Weg, nach dem Geheimrezept, das dich retten wird. Fang "einfach" an (einfach ist es natürlich nicht, aber ihr wisst hoffentlich, wie ich da meine). Traue dich. Und schau, was DIR hilft, nicht, was anderen hilft. Du kannst dich natürlich darüber informieren, wie es andere aus der ES geschafft haben, aber behalte im Kopf, dass kein Weg dem anderen gleicht. Vielleicht musst du erst etwas rumprobieren, bevor du erkennst, was dir hilft. Das ist vollkommen normal. Was ich sagen will ist, dass du nicht erwarten solltest, dass Recovery genauso ablaufen wird, wie andere es behaupten. Jeder hat da unterschiedliche Ansichten und Erfahrungen, andere Ängste, die bekämpft werden müssen. Du musst nicht in eine Klinik gehen, nur weil es X geholfen hat. Du musst auch nicht Y Kalorien am Tag essen, um Erfolg zu haben. Andere Voraussetzungen, andere Lösungswege.
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Ich hoffe, dass euch diese Tipps helfen! Verliert nicht die Hoffnung, es wird besser werden. Aller Anfang ist schwer. Aber je schneller man sich überwindet, die ersten Schritte zu tun, desto kürzer muss man leiden. Jeder kann es schaffen!

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