Meine Definition einer "vollständigen Heilung"
Zu allererst ist es meiner Meinung nach wichtig, die Frage zu klären, was man unter "vollständiger Heilung" versteht. Es ist schwer, meine Definition von "vollständiger Heilung" in ein paar Worte zu fassen, da diese auf so viele verschiedene Bereiche ausgeweitet werden kann. Um es so kurz wie möglich zusammenzufassen, würde ich sagen, dass Heilung für mich "FREIHEIT" bedeutet. Frei von kranken, belastenden und zwanghaften Gedanken wie auch Gewohnheiten; ein gesundes Verhältnis zum Essen und zum Sport; so wie auch sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Heilung sollte sich auf die Psyche und die Physis beziehen. Somit bedeutet sie auch für mich, dass man ein gesundes Gewicht hält, Hunger- und Sättigungsgefühle im Gleichgewicht sind (ohne Heißhungerattacken oder ähnlichem), dass man als Frau seine Periode wieder regelmäßig bekommt und man wieder genug Kraft und Stärke zum leben besitzt.
Ist eine vollständige Heilung nun meiner Meinung nach möglich?
Im Prinzip glaube ich an eine vollständige Heilung - ich denke, dass man wieder ein normales, gesundes und glückliches Leben führen kann. Je nach Krankheitsgeschichte kann es aber natürlich auch zu Folgeschäden kommen, die das Leben selbst nach vielen Jahren symptomfrei beeinträchtigen können (wie etwa Osteoporose oder Unfruchtbarkeit). Aber ich denke auch, dass man vielleicht etwas vorsichtiger mit bestimmten Themen umgehen muss, auch wenn man als "gesund" bezeichnet wird, um eventuelle Rückfälle zu verhindern. Das kann zum Beispiel Sport sein (nicht, dass man nach einer Essstörung in eine Sport- oder Fitnessucht rutscht - ein normaler Umgang mit Sport, ohne in Extreme zu rutschen oder sein ganzes Leben danach auszurichten). Eventuell ist es auch besser, sich von potenziell triggernden Jobs fernzuhalten, wie Modeljobs oder Tätigkeiten, in denen ein besonderes Augenmerk auf Themen wie Aussehen und Ernährung eine große Rolle spielen. Und vor allem muss man auch in sehr schwierigen Lebensphasen vorsichtig sein, dass man nicht auf essgestörte Verhaltensweisen zurückgreift, um negative Emotionen oder Stress zu kompensieren.
Nichtsdestotrotz sehe ich diesen Zustand auch als "vollständig geheilt" an. Auch wenn man an der ein oder anderen Stelle vielleicht etwas vorsichtig sein muss, kann man ein normales, glückliches und gesundes Leben führen. Es gibt mehrere tausend Menschen, die heute gesund und frei sind nach jahrelanger Essstörung. Sie sind Beweis, dass es möglich ist, gesund zu werden.
Aber spielt diese Debatte um eine "vollständige Heilung" überhaupt eine Rolle?
Vor einiger Zeit hatte ich ein sehr augenöffnendes Gespräch mit meiner Therapeutin über dieses Thema gehabt. Ich fragte sie nach ihrer Meinung, ob sie denkt, dass man von so einer Krankheit heilen kann. Und sie meinte sofort, dass diese Frage doch total unwichtig sei. Würde es etwas an meiner jetzigen Situation und meiner Entscheidung, zu recovern, irgendetwas ändern, wenn ich eine Antwort auf diese Frage wüsste? Nein! Denn es ist doch egal, ob man zu 75, 84 oder 100% geheilt werden kann. Hauptsache, man wird gesünder und bleibt nicht für ewig in derselben miserablen, kranken Situation stecken. 50% gesund sind immer noch besser als 1% gesund, obwohl man natürlich immer die 100% anstreben sollte. Der Kampf gegen die Krankheit lohnt sich, ganz gleich, ob man komplett oder "nur" ein großes Stück seiner Gesundheit wiederherstellen kann.
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Gerne würde ich über eure Sichtweise zu dem Thema in den Kommentaren hören/lesen. Ich weiß, wie sehr da die Meinungen auseinandergehen, deswegen würde ich mich sehr über ein paar Beiträge echt freuen. Und ich hoffe natürlich, dass dieser Post den ein oder anderen inspirieren konnte!