Mehrmals habe ich schon versucht, zu recovern. Doch immer wieder erlitt ich einen Rückfall. Mein Leben besteht aus hungern, Recovery, hungern, Recovery, usw. Eigentlich komisch, das mein Körper das ständige hin-und-her noch mitmacht. Aber noch komischer ist es, dass es eine ganze Weile lang so schien, als würde ich gar keine Fortschritte machen und nie aus meinen Fehlern lernen. Erst letztes Jahr ist mir etwas ganz wichtiges bewusst geworden, sozusagen die grundlegende Basis, um auch wirklich gesund zu werden: der Wille und Wunsch, für sich selbst gesund zu werden und nicht für jemand anderes.
Bei mir war es jahrelang so, dass ich immer nur für meine Mutter gesund werden wollte. Ich wollte ihr nicht länger all die Qualen und Sorgen bereiten, die eine Mutter zu ertragen hat, wenn ihr Kind magersüchtig ist: die Angst, dass ihr Kind mitten in der Nacht stirbt; die Angst, etwas falsches zu sagen sodass die Laune des Kindes auf den Nullpunkt sinkt; die Angst, nicht genug für die Tochter zu sein. Mama hat mich immer unterstützt und mir geholfen, wo sie nur konnte, und ich wollte ihr das irgendwie zurückgeben indem ich recovere. Ob ich selbst gesund werden wollte, kann ich mich jetzt im Nachhinein gar nicht mehr erinnern. Mir war bewusst, wie schädlich diese Krankheit für mich ist, dass ich daran sterben würde wenn ich nicht bald mit dem hungern aufhören würde. Doch trotzdem wirkte die Magersucht wie ein Teil von mir, den ich einfach nicht missen wollte. Denn wer war ich schon ohne die Essstörung? Ich dachte, mir gebe diese Krankheit so viel Gutes, so viele schöne Erinnerungen. Lieber gehe ich das Risiko ein, meiner Gesundheit zu schaden als dass ich mein altes, langweiliges Leben zurückerlange. Doch die Tatsache, meiner Mutter mit meinem Verhalten weh zu tun, bereitete mir Gewissensbisse und veranlasste mich dazu, es mit Recovery zu versuchen. Schließlich könne ich jeder Zeit wieder mit hungern anfangen, wenn mir Recovery nicht gefallen würde.
Ich begann zu essen und zuzunehmen, doch machte ich alles von meiner Mutter abhängig. Sie musste mich ständig daran erinnern, etwas zu essen, andernfalls hätte ich nix gegessen. War sie mir gegenüber ungerecht oder hat ihre Wut an mir ausgelassen, habe ich das Essen verweigert. Ebenso war das der Fall, wenn sie mich, aus meiner Sicht, ignorierte und mir nicht zuhörte. Alles war von ihr abhängig. Immerhin wollte ich für sie gesund werden, deswegen sah ich in meinem Verhalten kein Problem. Mit der Zeit ging es mir wieder schlechter und schlechter, da ich einfach keine Verantwortung für mich selbst übernehmen konnte, weswegen es zu einem Rückfall kam - für den ich natürlich andere beschuldigte. Es ist so paradox, wenn ich über das ganze jetzt nachdenke...
Letztes Jahr ging es mir nach meinem Rückfall so schlecht wie noch nie und ich habe erstmals den Wunsch ausgesprochen, für mich gesund zu werden - weil ich will, dass es mir besser geht, damit ich wieder lachen kann, genug Energie habe und all die Dinge tun kann, die ich liebe. Natürlich wollte ich immer noch für meine Mutter gesund werden, doch es war nicht länger mein Hauptgrund. Mein neuer Hauptgrund war, dass ich endlich wieder leben und nicht nur existieren wollte. Somit habe ich mehr Verantwortung für mich, mein Essen, meinen Körper und mein Leben übernommen. Mich riss es von nun an nicht mehr so sehr runter, wenn meine Mutter mal schlecht gelaunt war oder so. Mir war bewusst, dass ich mein Leben in der Hand hatte und ich für mein Glück verantwortlich bin. Ich kann nicht mein Leben nach anderen richten, anderen einen Gefallen tun und mich als Opfer hinstellen. Es war an der Zeit, an mir zu arbeiten und mehr Verantwortung zu übernehmen.
Es ist meiner Meinung nach so wichtig, auch für sich selbst gesund werden zu wollen, sonst macht man sein Leben immer von anderen abhängig und lässt mit sich rumspielen als wäre man eine Puppe. Durch diesen Entschluss war ich endlich in der Lage, meinen Weg aus der Magersucht selbst in die Hand zu nehmen. Ich aß (ohne ständig von jemanden daran erinnert zu werden) und nahm allmählich zu, weil ich mir sicher war, es würde mein Leben bereichern. Dann wäre ich in der Lage, meine Traumziele zu bereisen, Sport zu machen, alleine zu wohnen, eine Familie zu gründen. Das wäre mit der Magersucht schlicht und einfach nicht möglich. Meine Gesundheit ist der Grundstein für ein glückliches, erfülltes Leben.
Versteht mich nicht falsch, es ist schon sehr gut, überhaupt den Entschluss zu fassen, gegen die Krankheit zu kämpfen, unabhängig davon ob man es für sich selbst oder für andere macht. Im Gegenteil, ich finde dass es am Anfang eine guter Gedanke ist, für eine bestimmte Person gesund werden zu wollen. Denn oft fehlt vor allem am Anfang der Recovery die Kraft und Motivation, gegen die Magersucht zu kämpfen. Da ist es echt hilfreich, wenn man wenigstens eine Motivation hat - auch wenn es nicht für sich selbst ist. Mit der Zeit wird einem dann meist klar, dass man aus so viel mehr Gründen gesund werden will.
Ich hoffe, ich konnte dem ein oder anderen die Augen öffnen. Es hat mir so sehr geholfen einzusehen, Recovery auch für mich zu wollen. Sonst wäre ich nie so weit vorangekommen, wie ich es heute bin.
P.S.: Ich bin endlich aus dem Urlaub zurück seit zwei Tagen! Es war eine schöne Zeit mit ein paar Tiefpunkten oben an der Ostsee, doch ich bin froh, nun wieder zu Hause zu sein.
Ein wichtiger Schritt, um gesund zu werden
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