Wiegen in Recovery? - Meine Erfahrungen

Ganz am Anfang, als ich meinen Blog gestartet habe, hatte ich schon mal einen Post über dieses Thema geschrieben. Mit der Zeit änderten sich aber einige Dinge bei mir, weswegen ich ihn wieder gelöscht habe... Darum greife ich das Thema nun nochmal auf: wiegen in Recovery.

Zu meinen schlimmsten Zeiten habe ich mich mehrere Male pro Tag gewogen - morgens, mittags und abends. Die Zahl auf der Waage entschied oft über meine Laune und auch über mein Essverhalten. Dabei kann ich nicht direkt sagen, ob ich mich gefreut hatte, als die Zahl nach unten ging. Auf jeden Fall war meine Laune aber schlecht, wenn die Zahl nach oben ging. Das wiegen war ein Ritual - nein, es war eine SUCHT, ohne die ich nicht konnte. Wenn es möglich war, nahm ich die Waage sogar mit in den Urlaub, um selbst dort mein Gewicht überwachen zu können.

Am Anfang meiner Genesung habe ich mich weiterhin gewogen, aber wenigstens nicht mehr so oft wie vorher. Es fiel mir alles andere als leicht, zu sehen, wie die Zahl langsam anstieg, weswegen ich meist wieder weniger aß, um dem entgegen zu wirken. So entstand dann ein hin und her zwischen zwei Zahlen und ich machte eigentlich gar keine Fortschritte. Zu anderen Zeiten hatte mich meine Mutter gewogen, damit sie sich versichern konnte, dass es mit meinem Gewicht voranging. Das hatte ich über alles gehasst, weil es sich so anfühlte, als hätte nun jemand anderes die Kontrolle über mein Gewicht übernommen. Als Resultat schummelte ich beim wiegen, indem ich vorher Wasser trank oder mir schwere Sachen in die Klamotten steckte. So lief es auch, als ich zum Arzt musste. Auf lange Sicht war das also auch keine Lösung für mich.

Bild bei Pinterest gefunden

Irgendwann habe ich das wiegen dann ganz sein lassen. Von ein auf dem anderen Tag habe ich die tägliche Gewichtskontrolle am Morgen einfach ausfallen lassen und die Waage, die ich mir irgendwann mal heimlich zugelegt hatte, meiner Mama gegeben, damit sie sie vor mir versteckt und ich somit nicht mehr in die Versuchung komme, mich zu wiegen. Ab dem Moment wurde ich so viel freier wie schon lange nicht mehr - mein Gewicht nicht mehr zu wissen half mir, lockerer beim essen zu werden. Einfach deswegen, weil ich mir nicht mehr einen Kopf darum gemacht habe, was die Zahl auf der Waage am nächsten Morgen sagen würde. Der Schritt war nicht leicht, aber was ist schon einfach? Natürlich war ich nicht komplett frei im essen, aber es hat mir immens geholfen, nicht nur mehr, sondern auch wieder Dinge wie Nudeln, Salz und Reis zu essen. Es war ein richtiger Schritt in die Richtung und ein kleiner Befreiungsschlag für mich. Und da das auch meine Eltern erkannten, verzichteten sie ebenfalls darauf, mein Gewicht wissen zu wollen. Das machte alles noch viel entspannter für mich. Lediglich beim Arzt musste ich mich noch auf die Waage stellen, aber da haben wir uns geeinigt, dass ich "blind" gewogen werde. Also ich stelle mich so auf die Waage, dass nur die Ärztin die Zahl auf dem Display sehen kann. Klar ist das auch ein komisches Gefühl, aber da ich zu dieser Ärztin ein besseres Verhältnis als zu meinem vorigen Arzt hatte, war ich damit einverstanden.

Irgendwann, gut ein Jahr später, stoß ich auf eine Studie über Essstörungen, an der ich teilnehmen wollte. Das Manko an dieser war, dass ich mich für diese nun wieder ab und zu wiegen müsste. Gepaart mit einem kleinen Rückfall, den ich zu dieser durchlitt, war das glaube keine gute Mischung. Nach so langer Zeit wieder sein Gewicht zu wissen war ein mega komisches Gefühl; als hätte ich all den Fortschritt des vergangenen Jahres mit einem Mal vernichtet, was aber so natürlich nicht stimmte. Anfangs kam wieder diese "Sucht" auf und ich wog mich mehrmals pro Tag, dann jeden Tag einmal und, sobald es mir wieder etwas besser ging, einmal pro Woche. Aber selbst als ich wieder auf einem guten Weg war, merkte ich, wie sehr ich mein Essverhalten noch an der Zahl auf der Waage anpasste. Also ließ ich die Abstände zwischen dem wiegen immer größer werden.

Im Moment wiege ich mich gar nicht mehr und ich kann mich auch nicht mehr erinnern, wann ich es das letzte Mal getan habe - vielleicht im November 2018? Ich weiß es nicht. Aber auf jeden Fall geht es mir gut damit. Ich habe nicht das Bedürfnis, mich auf die Waage zu stellen. Die Zahl will ich auch eigentlich gar nicht wissen. Für mich musste ich feststellen, dass Zahlen mich extrem triggern - somit nicht nur die Zahl auf der Waage, sondern auch Kalorienangaben und ähnliches. Manchmal frage ich mich aber, ob es wirklich so gut ist, die Waage ganz zu meiden. Immerhin soll daraus ja auch kein Vermeidungsverhalten entstehen. Aber dann frage ich mich auch wieder: braucht der Mensch überhaupt eine Waage? Ich denke schon. In Extremfällen wie eben Magersucht oder auch Adipositas ist es in gewisser Weise gut, einen Blick auf das Gewicht des Betroffenen zu werfen. Aber für einen gesunden Menschen? Eigentlich kenne ich kaum einen gesunden, normalen Menschen in meinem Umfeld, der sein Gewicht regelmäßig beobachtet. Und eigentlich ist es auch unnötig, denn das Gewicht sagt eigentlich fast gar nichts über den Gesundheitszustand des Menschen aus.

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Keine Ahnung, ob sich meine Meinung übers wiegen jemals wieder ändern wird, aber zum jetzigen Zeitpunkt habe ich das Gefühl, dass es mehr Schaden anrichtet als dass es hilft. Die Zahl nicht zu wissen gibt mir eine gewisse Freiheit. Und ich bin auch der Meinung, dass wenn meine Krankheit mit dem wiegen angefangen hat, ich es besser sein lassen sollte, wenn ich wieder gesund werden möchte. Jeder wird da andere Erfahrungen und Meinungen haben und ich möchte mit diesem Post auch definitiv niemanden kritisieren, der findet, dass ihm das wiegen hilft! Aber vielleicht können meine Worte dem ein oder anderen zum nachdenken anregen - was ich sehr hoffe! Gerne könnt ihr mir eure Meinung zu dem Thema in den Kommentaren dalassen.

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