Story Time: Angestarrt werden

Ich dachte mir, dass ich euch heute ein paar Geschichten aus meinem Leben mit der Essstörung erzähle, um auch denjenigen einen Einblick in die Krankheit zu gewähren, die mit der Krankheit gar nichts am Hut haben.

Es gibt da ein Restaurant, in das meine gesamte Familie unglaublich gerne essen geht. Es ist eine ziemlich beliebte Location in unserer Stadt, die immer gut besucht ist und typisch deutsches Essen anbietet: Wiener Schnitzel, Ragout Fin, Soljanka, Fisch usw. Aber um das Essen soll es hier in diesem Beitrag nicht gehen. Erzählen möchte ich von dem, was mir dort schon einige Male auf der Toilette passiert ist (keine Angst, hier wird es weder eklig noch intim ;)).

Da das Restaurant so gut besucht ist, kann es auch mal vorkommen, dass man auf der Toilette warten muss, bis eine Kabine frei wird. So war es auch an einem Tag vor längerer Zeit gewesen: ich musste auf Toilette, doch es war alles besetzt. Und ich war nicht die einzige, die warten musste.

Nach ein paar Minuten wurde die Warteschlange kürzer und ich konnte endlich aufs Klo. Wie es sich gehört, habe ich mir danach am Spülbecken die Hände gewaschen, während ich im Spiegel sah, wie mich eine Frau in der Warteschlange anstarrte. Gerade, als ich rausgehen wollte, hielt mich die Frau an und fing an, mit mir zu reden. Ich kannte sie nicht und war deshalb ziemlich verwirrt, was sie denn von mir wolle. Sie hat mich ehrlich gefragt, ob ich von Natur aus so dünn sei. Da ich nicht lügen wollte, sagte ich ihr nein, so sehe ich von Natur aus nicht aus. Die Antwort reichte ihr nicht aus: ihre nächste Frage war, durch was das kommt, ob es selbst herbeigeführt ist (also durch nicht essen) oder wegen einer anderen Krankheit. Trotz dass ich extrem geschockt davon war, dass ich so was von einer Fremden in aller Öffentlichkeit gefragt werde, habe ich ihr kurz und bündig die Wahrheit gesagt, dass ich wenig esse. Immerhin wäre es doch unhöflich gewesen, sie einfach so stehen zu lassen und nicht zu antworten, oder? Sie hob die Augenbrauen, blickte auf mich herab und verschwand mit einem "Aha" aus dem Raum und ließ mich dort dastehen, nun mit weiteren starrenden Blicken von denen in meinem Nacken, die um uns herum standen. Geschockt und peinlich berührt zugleich verließ ich den Raum mit gesenktem Kopf...

Ein anderes Mal - wieder im besagten Restaurant - war ich gerade dabei, mir die Hände zu waschen. Da kam dann eine ältere Frau zur Toilette, die plötzlich hinter mir stehen blieb. Im Spiegel konnte ich sehen, wie sie mich von oben bis unten musterte, doch sie bemerkte anscheinend nicht, dass ich sie sehen konnte, denn sie blieb eine gefühlte Ewigkeit hinter mir stehen. Ich weiß nicht, was ich in ihrem Blick sah, ob es Schock oder Ekel war, aber das ist auch egal. Mir war das einfach furchtbar unangenehm, peinlich und ich kam mir vor wie im Zoo, wie die Attraktion in einem Zirkus, und ich fühlte mich wie gelähmt, konnte genauso wie die ältere Frau mich nicht von der Stelle bewegen. Irgendwann schaffte ich es dann doch, mich umzudrehen, und sie ging peinlich berührt davon. Still und in Gedanken versunken ging ich zurück zu meinen Eltern an den Tisch, wo ich dann weiter von unseren Tischnachbarn angegafft wurde. Es war ein rundum schlechter Tag in der Hinsicht gewesen.

In der Schule hatte ich das bei weitem schlimmste Erlebnis in Sachen angestarrt werden gehabt. Zusammen mit meinem Kurs stand ich vor einem besetzten Zimmer, in dem wir demnächst Französisch haben würden. Am Fensterbrett gelehnt und mit dem Handy in der Hand wartete ich darauf, dass das Zimmer bald frei werden würde. Dann kam der Moment, in dem die Klasse, die das Zimmer besetzte, ihren Unterricht beendete und alle aus dem Zimmer stürmten. Ich würde schätzen, dass es Sechstklässler waren, die da nach und nach in kleineren Grüppchen versammelt das Zimmer verließen.

Dann kam ein Junge aus dem Zimmer raus, der gesehen hat, wie ich da am Fensterbrett lehnte und genervt in die Luft blickte. Er riss Mund und Augen auf, als er mich sah, drehte sich schnell zu seinen zwei Kumpels um, um diese auch auf mich aufmerksam zu machen. Er zeigte total aufgebracht mit dem Finger auf mich, redete wie wild mit seinen Freunden, die alle ihren Blick nicht mehr von meinem Körper wenden konnten. Als ihre Blicke meinen trafen, verstummten sie ganz plötzlich und gingen weiter, so als wäre nichts passiert.

In der Hoffnung, dass dieses unangenehme Erlebnis nun vorbei wäre und ich den Jungs mit meinem Killer-Blick vermittelt hatte, dass sie mich in Ruhe lassen sollen, bin ich in das nun leere Zimmer gegangen. Mein Blick schweifte nochmal zum Gang, um zu gucken, ob die Jungs weg seien. Meine Befürchtung, dass sie noch da waren, bestätigte sich: sie standen dort zu dritt im Gang und warteten darauf, wieder freie Sicht auf mich zu haben und mich zu beobachten. Sie zeigten mit offenen Mündern auf mich und unterhielten sich wahrscheinlich darüber, wie krank ich aussah. Wie man sich denken kann, konnte ich mich danach auf gar nichts mehr konzentrieren in der Französischstunde und musste die ganze Zeit über das Geschehen auf dem Gang nachdenken.

Vor allem das letzte Ereignis war für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mir ist klar, dass mein Körper (mal mehr, mal weniger) Aufsehen erregt mit seinem Aussehen - doch ist das ein Grund dafür, einen Menschen so respektlos zu behandeln, ihm unangemessene Fragen zu stellen und mit dem Finger auf ihn zu zeigen? Ich glaube kaum.  Ich leide unter der Krankheit, genauso wie viele andere auch, und ich spreche glaube im Namen aller Betroffener wenn ich sage: Ich bin ein Mensch und möchte nicht wie ein Tier im Zoo behandelt werden. Ich kämpfe hart und wünsche mir manchmal, dass man mein Leid nicht von außen sehen könnte, damit mir so was erspart bleibt. Es wäre schön, wenn alle Menschen mehr Verständnis für Essstörungen hätten, sie nicht als abartig oder ähnliches betrachten, denn das macht den Genesungsprozess nur schwerer.

Ich hoffe, dass der ein oder andere etwas aus diesem Beitrag mitnehmen konnte. Vielleicht war es nicht der hilfreichste in dem Sinne, dass ich Tipps oder gute Ratschläge gebe. Doch vielleicht hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht und fühlt sich nun nicht mehr so allein sondern weiß, dass andere dasselbe auch durchgemacht haben. Wenn ich nur eine kleine Veränderung mit meinem Blog beitragen kann, bedeutet das echt viel für mich.

In diesem Sinne: lasst euch nicht durch von anderen Leuten unterkriegen und konzentriert euch darauf, dass es euch gut geht.

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