Kalorien zählen in Recovery?

Wer mir auf Instagram folgt weiß vielleicht bereits, dass ich seit einigen Wochen probiere, nicht Kalorien zu zählen und mehr auf meinen Körper zu hören. Ich habe schon seit langem mit dem Gedanken gespielt, das zählen zu lassen, doch habe ich es mich nie getraut weil ich Angst hatte, weniger zu essen als ich bräuchte und dadurch abzunehmen. In diesem Post möchte ich meine Erfahrungen mit euch teilen sowie einige Vor- und Nachteile des "nicht-zählens" aufzeigen.


Kurz zu meiner Geschichte mit Kalorien zählen: Angefangen damit habe ich vor gut 5 Jahren; anfangs noch sehr oberflächlich und irgendwann habe ich mir dann einen Kalorien Tracker aufs Handy geladen. Zu dem Zeitpunkt diente das zählen dem Zweck, nicht "zu viel" zu essen und eine bestimmte Menge an Kalorien nicht zu überschreiten. Als ich dann meine Recovery begonnen habe, fand ich das zählen sehr hilfreich, um zu überprüfen, ob ich zum zunehmen genug esse. Das hat sich auch so über mehrere Jahre hinweg gehalten. Zwischendurch habe ich es immer mal wieder ohne zählen probiert, bin dann allerdings immer wieder zum zählen zurückgekommen. Jetzt zähle ich schon seit gut mehr als einen Monat nicht mehr mit der App, höchstens nur noch im Hinterkopf, aber das wird auch von Tag zu Tag weniger.

Ohne dem penetranten und sehr genauem zählen geht es mir um einiges besser! Ich fühle mich freier, weniger gestresst, muss nicht mehr alles aufs Gramm genau abwiegen und kann mehr auf meinen Körper hören. Das Problem mit dem tracken ist bei mir nämlich, dass ich, anstatt auf meinen Körper zu hören, mehr auf die App geachtet habe - also ich habe geguckt, wieviele Kalorien ich noch "offen habe" und habe danach meine Mahlzeiten gewählt. Heißt zum Beispiel, dass ich mir keine Schokolade erlauben konnte, auch wenn mein Körper danach verlangt hat, weil es ansonsten "zu viel" gewesen wäre. Oder auch umgedreht, dass ich mit keinen Apfel erlauben konnte, weil mir die App sagte, ich brauchte mehr als nur ein Stück Obst, um mein Ziel zu erreichen. Klar sollte man in Recovery darauf achten, genug zu essen, doch wenn man sich dann wieder etwas verbietet, geht das auch in die total falsche Richtung. Man sollte meiner Meinung nach ja lernen, sich alles erlauben zu können, egal was man vorher gegessen hat oder noch essen wird, und auf seinen Körper hören. Besonders letzteres ist nicht immer einfach, da Hunger- und Sättigungsgefühle bei einer Essstörung total aus den Fugen geraten, doch mittlerweile bin ich persönlich glaube an einem Punkt angelangt, an dem ich meine Portionen gut einschätzen kann und diese Art der Kontrolle nicht mehr so extrem brauche.

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Da ich nicht mehr Kalorien zähle, ist es mir auch egaler geworden, wieviel Fett ich esse bzw. wie sich meine Makronährstoffe verteilen. Es ist so ein bisschen wie nach dem Motto "Aus den Augen, aus dem Sinn" - habe ich die Zahlen nicht mehr vor Augen, kann ich sie auch viel leichter ausblenden und das essen, worauf ich Lust habe.

Eine weitere Sache ist, dass ich nicht mehr alles so genau abwiegen und -messen muss. Das ist eine Sache, an der ich zwar immer noch arbeiten muss, doch mittlerweile ist es besser bzw. weniger geworden, seit ich nicht mehr zähle. Da ich jede einzelne Kalorie ganz genau tracken wollte, musste ich dafür auch jedes Lebensmittel aufs Gramm genau abwiegen - egal, ob es Nüsse, Obst, Gemüse, Reis oder selbst Gewürze waren... Man kann sich vorstellen, wie anstrengend und teilweise sinnlos das auch ist, vor allem wenn man kochen will. Mir fiel es deswegen auch schwer, auswärts essen zu gehen, denn ich konnte immer total schlecht einschätzen, wieviel in meinem Essen drin war und konnte so das Essen auch nicht genießen, weil ich in meinem Kopf die ganze Zeit am rechnen war. Das mit dem auswärts essen gehen ist zwar immer noch schwer für mich, doch es ist etwas leichter Sachen zu essen, von denen ich die genauen Kalorien nicht weiß.

Außerdem ist es auch so, dass mir weder meine Ärztin noch meine Ernährungsberaterin zum Kalorienzählen geraten haben. Meine Ernährungsberaterin hat mir sogar eher davon abgeraten! Immerhin soll man lernen, Essen nicht als Zahlen, Fette oder Kalorien zu sehen, sondern als Genuss und Energie, um sein Leben zu leben. Esspläne können da hilfreich sein, um vom zählen wegzukommen. Und statt mit der Waage alles zu portionieren, kann man auch mit Tassen oder Esslöffeln arbeiten.

Zu guter letzt kann ich sagen, dass sich das nicht-zählen nicht negativ auf mein Gewicht oder meine Genesung allgemein ausgewirkt hat. Mittlerweile habe ich einigermaßen ein Gefühl dafür entwickeln können, was für mich genug ist. Ich habe festgestellt, dass ich mich nur selber anlüge wenn ich behaupte, dass ich zähle, um genug zu essen. Wenn ich ehrlich zu mir wäre, mir nichts verbiete und auf meinen Körper höre, dann komme ich schon auf genug. Und wenn ich mir doch mal unsicher bin, versuche ich, vorsichtshalber ein bisschen mehr zu essen, auch wenn das nicht immer einfach ist. Aber es ist definitiv die klügere Entscheidung. Letztlich dient das zählen mehr meiner Essstörung als meiner Gesundheit. Ein vollkommen gesunder Mensch braucht nicht Kalorien zu zählen, denn sein Körper ist schlau genug, um seine Nahrungsaufnahme selbst zu regulieren.

Wenn du selbst überlegst, ob du mit dem Kalorien zählen aufhören solltest, kann ich empfehlen, wirklich in dich zu gehen und dich zu fragen, ob das zählen mehr deiner Gesundheit oder deiner Essstörung dient. Hat man gerade erst seine Recovery begonnen, würde ich noch warten, bevor man mit dem zählen aufhört - einfach deswegen, weil Hunger- und Sättigungsgefühle noch nicht richtig funktionieren und man erst ein Gefühl dafür entwickeln muss, wieviel Essen genug ist. Und natürlich sollte man diesen Schritt mit seinem Arzt, Therapeuten und Ernährungsberater vorher besprechen, damit die Sache nicht nach hinten losgeht. Aber wenn man bereits weiter ist und schon seit mehreren Wochen oder Monaten eine ausreichende Menge isst und ein Gefühl für angemessene Portionen entwickelt hat, kann man es mal ausprobiere, das zählen sein zu lassen.

Ich habe es so gemacht, dass ich einfach von einen auf den anderen Tag mit dem zählen aufgehört habe, so gut es ging. Man kann auch seine Tracking Apps löschen, um einen "Rückfall" zu verhindern. Aber ich weiß auch, dass dieser Schritt für die meisten zu radikal ist. Man kann auch erstmal damit anfangen, eine Mahlzeit nicht zu zählen, oder eben halt nicht alles abzuwiegen. Vielleicht hilft es auch, mehr auswärts zu essen oder sich bekochen zu lassen, um die Kontrolle abzugeben. Jeder ist da ganz individuell und muss gucken, was für ihn der richtige Weg ist.

Man kann nicht per se sagen, dass es schlecht ist, in Recovery Kalorien zu zählen. Es ist definitiv ein sehr hilfreiches Tool, um sicherzustellen, dass man genug isst. Aber aus meiner Sicht ist es nichts, was man sein ganzes Leben lang weiterführen sollte... Seine Nahrungsaufnahme so krass zu kontrollieren ist nicht normal - es schränkt einen extrem ein und nimmt viel wertvolle Zeit in Anspruch, die man für wichtigere Dinge nutzen könnte. Und für mich persönlich ist es glaube die richtige Entscheidung, diesen Schritt gegangen zu sein.

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